aktuelle SKOS Richtlinien

Tätigkeitsbericht des Geschäftsführers

Sinkende Sozialhilfequote – steigende Armut? 

«2023, ein schwarzes Jahr für die Prekarität» so lautete der Titel eines Artikels im «Le Temps» vom 15. Januar 2024. Darin wird aufgezeigt, dass die Caritas-Läden und Abgabestellen von kostenlosen Lebensmitteln im vergangenen Jahr deutliche Zunahmen verzeichnet haben im Umsatz und in der Anzahl Benutzer:innen. Die Verantwortlichen der Hilfswerke sehen darin ein klares Zeichen für eine steigende Armut in unserem Land.

Auf der anderen Seite stehen die Zahlen aus der Sozialhilfe- und Arbeitslosenstatistik. Beide Statistiken weisen mit 2,9 Prozent Sozialhilfebeziehenden und 2,0 Prozent Arbeitslosen rekordtiefe Werte aus. Noch nie seit Bestehen der Sozialhilfestatistik waren die Quoten so tief.

Die Armutsquote für die Jahre 2022 und 2023 kennen wir noch nicht. Das BFS berechnet diese Quote auf der Basis einer Telefonbefragung zu Einkommen und Lebensbedingungen (SILC). Aktuell liegen erst die Zahlen von 2021 vor, die Quote ist gleichhoch wie 2019, nach einem kontinuierlichen Anstieg seit 2014. Ob es einen Trend nach oben gibt nach der Coronakrise ist aufgrund dieser Zahlen noch nicht klar. 

Was bedeuten diese sehr unterschiedlichen Befunde für die Sozialhilfe?

Positiv zu werten ist sicherlich, dass weniger Menschen auf die finanzielle Unterstützung durch die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherung angewiesen sind. Der ausgetrocknete Arbeitsmarkt hat vielen Menschen, die in früheren Jahren aussen vor geblieben sind, die Chance auf einen Job im 1. Arbeitsmarkt gegeben. Der Einsatz der Sozialdienste für eine gelingende berufliche Integration hat das seine dazu beigetragen. Darauf dürfen die Sozialarbeitenden, die diese herausfordernden Aufgaben tagtäglich leisten, stolz sein.

Tiefere Sozialhilfequote heisst auch, dass unter jenen, die weiterhin von der Sozialhilfe unterstützt werden, die Gruppe der Langzeitbeziehenden grösser wird. Auch beim Erwerbstatus gibt es Verschiebungen: zwischen 2017 und 2022 hat die Gruppe der erwerbsfähigen Erwerbslosen drastisch abgenommen von 70 800 auf 49 100 Personen. Auch bei den Nichterwerbspersonen gab es einen Rückgang von 72 400 auf 61 700. Erstaunlich hingegen ist der Anstieg der Erwerbstätigen in der Sozialhilfe, den working poor. Sie haben von 49 600 auf 52 200 zugenommen. Für die Sozialhilfe heisst dies: Weniger Vollzeitprogramm für berufliche Integration, mehr Aus- und Weiterbildung für working poor und weiterhin Angebote zur sozialen Integration für Langzeitbeziehende.

Frappant ist auch der Wechsel in Bezug auf den ausländerrechtlichen Status: Gegenüber 2017 wurden 2022 rund 22 000 Schweizer:innen und 23 000 Ausländer:innen mit B- und C-Ausweis weniger unterstützt. Gleichzeitig verdoppelte sich die Zahl von unterstützten Flüchtlingen und Vorläufig Aufgenommenen von 21 000 auf 45 000 Personen.  Auch hier sind die Sozialdienste gefordert, ihre Arbeit den neuen Bedarfen anzupassen.

Ein besonderes Augenmerk braucht es für die Armutsbetroffenen, die nicht von der Sozialhilfe unterstützt werden. Sei es, weil sie kein Anrecht darauf haben (wie Sans-Papiers), sei es, weil sie den Entzug ihres Aufenthaltsstatus fürchten aufgrund der verschärften ausländerrechtlichen Regeln, oder sei es, weil sie sich schämen, auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Verschiedene Städte haben begonnen, diese Menschen indirekt über private Hilfswerke zu unterstützen. Andere setzen auf Information, die den Zugang zur Sozialhilfe aufzeigen. Für die SKOS wichtig ist, dass die Hürden für den Sozialhilfebezug nicht noch höher werden. Ziel soll nicht ein weiteres Absinken der Sozialhilfequote sein, sondern der Grundsatz: Wer in der Schweiz bedürftig ist, soll Hilfe bekommen. Dafür ist die Sozialhilfe da. 

Markus Kaufmann, Geschäftsführer

 

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